Ruhrgebiet. (DRB) Fährt die Bahn im Ruhrgebiet aufs Abstellgleis? Das fragen sich Kunden angesichts der neuesten Aktion: Die Bahn tauscht kaputte Bahnhofsuhren nicht mehr aus oder repariert sie. Nein, die Bahn entwertet kaputte Uhren – ähnlich wie Fahrscheine. Schnelle Eingreiftruppen der Bahnpolizei fahnden bundesweit nach kaputten Uhren. Sobald sie eine entdecken, überkleben sie das Ziffernblatt mit Isolierband und streichen es durch. (Bild) Bundesweit sind etwa 37 schnelle Uhrensuchtrupps im Einsatz. (Internes Kürzel: Soko BW – steht für „broken watch“).
Die alten Uhren werden mit der Aktion praktisch ungültig. Der Kunde soll endlich lernen, dass diese Uhren nicht mehr funktionierten. Sie verschwinden praktisch aus dem Blickfeld. Im Zuge der tollen Pünktlichkeitsdefensive testet die Bahn derzeit, wie das innovative Projekt beim Kunden ankommt.
Bahnsprecher Knut Knopf teilte dazu mit: „Wenn der Reisende nicht weiß, wie viel Uhr es ist, dann merkt er auch nicht, wie spät es ist bzw. wie viel Verspätung ein Zug hat oder ob er auch mal pünktlich kommt, wenn Sie verstehen was ich meine“. Kunden seien echt begeistert.
Aber die Bahn will mit der Maßnahme nicht nur die Pünktlichkeitsrate steigern. Sie will auch Kosten einsparen. „Wenn wir die Uhren einfach da stehen lassen, wo sie schon mal sind, fallen auch keine Entsorgungskosten an“, sagt Knut Knopf. Die Bahn habe herausgefunden, dass die Uhren den Witterungseinflüssen im Ruhrgebiet sehr lange standhielten. „Und das“, da ist er sicher, „kommt letztlich den Kunden zugute, an die wir diese Einsparungen unmittelbar weitergeben“. Keinesfalls würden dadurch die Renditen gesteigert. Man könne beispielsweise defekte Radreifen austauschen oder Berliner S-Bahnen reparieren.
Einzig an der Küste sei es infolge der Streichaktion zu Komplikationen gekommen. Aber nur ein Mal. Dort sei im vergangenen Jahr eine Bahnhofsuhr, die schon vor mehr als fünf Jahren durchgestrichen worden sei, im Zuge der allgemeinen „Korrosion“, wie es im Bahnjargon heißt, bei leichtem Sturmwind einfach umgekippt und auf den Pkw einer Urlauberfamilie aus dem Ruhrgebiet gefallen. Es sei zwar nur Dachschaden entstanden, so die Bahn. Dennoch habe man die Testphase an der Nordsee gestern abgebrochen.
Kaputte Uhren nachts beleuchtet
Wie aus internsten Zirkeln der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) durch ein löchriges Sieb durchsickerte, hat die Bahn das Modellprojekt auf 24 Stunden ausgelegt. Die Funktionsuntüchtigkeit der kaputten Uhren ist nicht nur bei Tageslicht zu erkennen. Die Initiative bezieht auch die Zeit nach Einbruch der Dunkelheit mit ein. Knut Knopf, auch genannt der Lokomotivführer, gab dazu bekannt, dass kaputte Uhren nachts beleuchtet werden. (siehe Bild)
Damit will die Bahn noch mehr Unfälle verhindern. Nachdem der Effekt des Durchstreichens als erste Gegenmaßnahme bei Dunkelheit wirkungslos verpuffte, weil die Kunden die Uhren einfach nicht mehr sehen konnten und der Aufenthalt am Bahnsteig damit noch gefährlicher geworden war, gibt es Abhilfe: „Jetzt kann der Fahrgast auch abends erkennen, dass die Uhr kaputt ist, und er wird nicht mehr auf die Geleise fallen“, hofft Knut Knopf.
Kaputte Uhren gehen zwei Mal täglich richtig
Eine neuartige Technik ermöglicht es den Uhren jetzt, sich morgens bei Anbruch des Tages selbstständig aus- und abends zu Beginn der Dämmerung wieder einzuschalten. Je nach Bedarf ginge es auch umgekehrt.
Die Bahn fährt aber hier nicht nur eingleisig. Sie bietet Alternativen wie diese hier: An einigen Haltestellen werden Uhren komplett verhüllt. Dafür hat die Bahn den Aktionskünstler Josef Christo und seine Frau Gertrud gewinnen können. Das Lichtprojekt werde aus Kostengründen auf einige ausgewählte Bahnhöfe beschränkt. Intern wird gemunkelt, dass auch kaputte Uhren zwei Mal am Tag richtig gehen. Laut Bahn birgt dieses Prinzip enormes Potenzial für die Pünktlichkeitsrate. Dabei wird bundesweit – bezogen auf jede defekte Uhr – gezählt, wie viele Züge pünktlich unterwegs sind. „Das sind unheimlich viele“, weiß Knut Knopf. Laut Statistik nähert sich die Pünktlichkeitsrate den 113 Prozent. Er kann auch keinen Widerspruch darin erkennen, dass ausgerechnet durchgestrichene, kaputte Uhren nachts beleuchtet sind. „So merkt der Kunde, wie viel Energie die Bahn hat.“