Wo ist der Zahn von Stinky Turner?

Der original Flyer vom Gig. Kam mit dem Schiff auf den Kontinent.

London/Huddersfield. (OK) In der diesigen Ausgabe blickt Obstkurve zurück auf eins der denkwürdigsten Konzerte des wilden Jahres 1980. In der Hauptrolle: Die sagenhafte Punkoiband Cockney Rejects. Sie hatten Hits geschrieben, waren in Top of the Pops vertreten und standen vor einer großen Karriere als Stars. Sie machten zwei große Tourneen durch England. Es knallte laut und heftig.

The Exploited aus Glasgow widmeten dem skandalträchtigen Ereignis ein Lied: „Sex and Violence“. Und was die absolute Härte ist: Das damalige Fanzine „Das Sofa“, ein Vorläufer von Obstkurve, war explosiv und live dabei. Obstkurve blickt heute zurück und zitiert aus der original Reportage. Der Berichterstatter war 16, und damit genau so alt wie der Sänger der Rejects.

Tatort war der Sexclub „Cleopatra’s“ in Huddersfield, Yorkshire. Ob die Exploited den Song deshalb Sex and Violence nannten? Die Redaktion war nicht nur dabei, sondern sie stand bei diesem Punkkonzert direkt in der ersten Reihe, vorne an der Bühne. Die Reporter erlebten das Geschehen mit: Punk-Rock, Fußball und Blut im Konzertsaal, wo sonst die Puppen tanzten.

Das Konzert gipfelte in einem Tumult, der damals bei den Rejects an der Tagesordnung war. Während ihre ersten Konzerte harmonisch verlaufen waren, suchten ungebetene Gäste die Touren im Sommer und Herbst 1980 heim. Einer der Protagonisten des Huddersfielder Abends, Jeff Turner, Sänger der Cockney Rejects, blickt in seiner kürzlich erschienenen Autobiographie „Cockney Reject“ zurück in die Zeit, in der er als 16jähriger Sänger der Ostlondoner Band mit seinem Bruder Mick und Bassist Vince Riordan England gehörig durcheinanderwirbelte.

Sie vertrauten auf ihre gute Musik und die Schlagkraft ihrer Fäuste. Freunde von von der Inter City Firm (ICF) des Fußballclubs West Ham unterstützten sie. Auf dem Weg in die Top 20 der Charts schlugen sie die Nägel in ihren eigenen Sarg: „We were animals“, schreibt Turner selbstkritisch in seinem Buch. Aber, es war wie es war. Der Film „East End Babylon“ dokumentiert die Geschichte der Band, ihres Viertels, der Familie Geggus und der Musiker. Ein Knaller für jeden Musikfan. Ein Muss für jeden, der Punk und die Rejects mag. Und ein Stück Zeitgeschichte.

Als „Low Life Skins“ bei einem Rejects-Konzert Punks zusammenschlugen, unterbrachen die Rejects und ihre Freunde den Auftritt. Sie machten dem Verbrechen ein Ende. Mit der Faust. Das „British Movement“ ist für sie ein „German Movement“, das sie als Bewohner des Arbeiterstadtviertels, das deutsche Bomber vor 1945 in Schutt und Asche gelegt hatten, abgrundtief verabscheuen. Auch diese „Low Life  people“ bekamen nehrfach das, was sie aus der Sicht der Rejects verdienten: „Voll auf die Fresse.“

Die Cockney Rejects kommen aus einem der härtesten Viertel Londons, wo das Leben an sich schon ein Kampf ist. Wer mit sieben Jahren das erste Mal die Nase eingeschlagen bekommt wie Stinky Turner, der lernt, dass das Boxen ein Weg ist, sich im East End zu behaupten. Stinky Turner ist nicht nur ein Boxer, der sich zu wehren weiß. Als Mitglied der „Rubber Glove Firm“ und der krassen Band „The Postmen“ betätigte er sich humoristisch. Einen seiner ersten Auftritte bestritt er im Pyjama.

Für die OK-Redaktion und viele Bands waren die Rejects der Jahre 1979-1980 eine der einflussreichsten Punkgruppen. Die Rejects knüpften nicht nur beim Schriftzug da an, wo die Sex Pistols 1978 zwischenzeitlich aufgehört hatten. Die deutsche Band Katzenköter macht heute musikalisch da weiter, wo die Rejects mit „East End“ angefangen haben. Die Rejects erfanden OI. Sie sind keine Nazis. Sie waren Boxer, aber keine Schläger.

In Turners Rückblick war die „Schlacht von Birmingham“ das Schlimmste, was sie in ihrer Karriere erlebten. Es war ein Wunder, dass bei den Krawallen rund um das Konzert keiner ums Leben kam. Nachzulesen in Turners Biographie. Dagegen lief das Konzert am Freitag, 17. Oktober 1980, in Huddersfield noch relativ glimpflich ab. Aber es ging auch ganz schön zur Sache, wie der Rückblick auf die hart umkämpften Stunden zeigt.

Hier der Originalbericht, gewürzt mit Kommentaren von Pfeffer und Chili (OK übernimmt keine Haftung und distanziert sich von Gewaltdarstellungen):

„Zuerst spielten die Exploited. Der Sofareporter kannte die Singles „Army life“ und „Barmy Army“, den Song „fuck the mods“. Er mischte sich unter die Pogomenge, die dicht gedrängt vor der Bühne tanzte. Es ging rauf und runter, vor und zurück, wie im Stadion. Rempelnde und schlagende „Low Life“ Leute gab es (noch) nicht.

Sänger Wattie wollte den Pogoteppich nutzen, sprang ab und stürzte sich von der Bühne auf die Menge, aber einer der Bouncers sprang – warum auch immer – hinterher, auf den Sänger drauf, der deshalb voll mit dem Kopf auf dem harten Boden knallte und liegen blieb. Schock. Er war bewusstlos. Helfer kümmerten sich um ihn. Sie flößten ihm Medizin ein. Nach einigen Minuten hatte er sich erholt und machte weiter. Die Menge tobte. „Army life is killing me.“

Blut und Spucke

Plötzlich war der Exploited-Auftritt vorbei, viel zu schnell. Halb k.o. vom Tanzen erholte sich der durchgeschwitzte Reporter, um für die Hauptband fit zu sein. Es gab Leute, die spuckten. Der Exploited-Sänger hatte eine Ladung ins Auge bekommen und konnte für einen Moment nicht weitersingen. Macht zwei Unterbrechungen bei der Vorgruppe. Dann die Pause.

Ungeduld. Nervendes Warten. Das würde für die Rejects vielleicht nicht einfach werden, bei der Vorgruppe?

Dann der große Augenblick. Die Londoner Musiker betraten die Bühne. Sie legten los wie die Feuerwehr, die Menge sprang auf und ab, tanzte und sang wie bei Exploited. Es sah gut aus. Völlig unerwartet schlug dann aus dem Nichts ein Huddersfielder Low Life Skin Vince Riordan den Bass aus der Hand. Aber der Täter hatte die Rechnung ohne die Band gemacht. Die schlug zurück. Vince Riordan nahm den zu Boden gefallenen Bass wieder auf, holte aus und schlug dem Täter das hölzerne Musikinstrument über den Kopf. Er stand noch. Dann trat der Sänger zu. Der Angreifer ging zu Boden.

Aber damit war der Ärger nicht beendet. Ein Trupp Huddersfielder Skins sammelte sich vor der Bühne. Auf der Bühne standen zehn Leute aus der ICF, um den Rejects gegen die Schlägertypen zu helfen.

Krawall im Sex-Club

Hintergrund: Die Rejects hatten mit ihrer Vorliebe für West Ham leicht übertrieben, sie hielten sich und ihre Schutztruppe für unschlagbar. Das wurde ihnen zum Verhängnis.

Das Cleopatra’s kochte. Die meisten Zuschauer freuten sich über die Musik. Die Band spielte ihre Hits, so lange es ging: Urban Guerilla, Police Car, Ready to ruck, New song, I’m not a fool, Join the Rejects, Bad man, East End, Fighting in the streets. Immerhin. Etwa eine halbe Stunde Musik, und die war super.

Doch die Low Life Gewalttäter sorgten für zwei weitere Unterbrechungen. Ein Skinhead, der direkt neben dem Sofareporter an der Bühne stand, pöbelte den Bassisten an. Das hätte er besser nicht getan. Vince Riordan trat dem Skinhead in die Fresse. Der Reporter sah genau, was passierte: „erst strömte ihm blut aus nase und lippe und dann fiel er um. Danach sprang ein Skinhead auf die bühne und griff die Band an, aber auch er musste die Bühne schnell wieder verlassen.“

Huddersfield Town

„Beim zweiten Angriff hatte ein Skinhead das Mikro von der Bühne gerissen. Auch er wurde von den Rejects verdroschen und anschließend rausgeworfen. Die Band versuchte, die Leute zu beruhigen. „Wir wollen eigentlich nur ein Konzert geben“, sagte Stinky. Sie schafften noch einmal drei Lieder und dann war Schluss. Sie mussten das Konzert abbrechen, denn es waren mittlerweile ca. 100 Hooligans anwesend. Die Ordner und die Band hatten gegen die Übermacht keine Chance. Wenn sie sich gewehrt hätten wie in Birmingham, hätte es vielleicht eine zweite Schlacht gegeben. Kein Wunder, dass Turner eine Zahnlücke hatte. Es war kein überlanges Konzert, aber es war was los.

Der Sofareporter kletterte nach dem Ende des Auftritts auf die Bühne, für das geplante Interview mit den Rejects. Dort traf er aber nur Wattie, den Sänger von Exploited, und fragte nach den Rejects. Antwort Wattie: „The Rejects have already gone.“ Frage Sofa: „What do you think about the violence?“ Wattie: „I don’t know. Ask the Rejects.“ Ein sehr aufschlussreiches Interview.“

Stichworte

Das Sofa war eins der ersten Punkfanzines, das total illegal in einem Jugendzentrum im öbstlichen Ruhrgebiet mit Matritzen gedruckt werden musste. Die Sozialarbeiter hatten es nicht so mit Bands oder Fanzines, sondern mit Schlägertypen. Das Cleopatra’s gibt es heute übrigens immer noch in Huddersfield. Als Lounge in einer neuen Location. Wer was sehen will, kann es in Internet begutachten. Frauen spielen dabei eine liegende Rolle. Und die Cockney Rejects kann man sehen, hören und lesen. Obstkurve recommends East End Babylon – als CD und DVD, zu bestellen über den lokalen Buchhändler oder direkt bei der Band. Auch das Buch ist lesenswert. Wir empfehlen die englische Version von „Cockney Reject“. Das hier war eine Rezession des Buches. Rejects-Sänger Stinky Turner, bürgerlich Jeff Geggus, und sein Bruder Mick, der Gitarrist, boxten als Jugendliche um Meisterschaften mit. Regelmäßig mussten sie sich auf der Straße und im Konzert gegen tätliche Angriffe wehren. In einem Fall sorgten sie dafür, dass die ungeliebte Polizei Räuber festnehmen konnte. Sie hatten sie nach einem Überfall auf ihre Eltern verfolgt, gestellt und kampfunfähig gemacht.

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